Faktencheck: Überlasten Elektroautos unser Stromnetz?
Hält das Stromnetz dem E-Auto-Boom stand? Wird die rasant steigende Zahl von E-Autos unsere elektrischen Leitungen an den Rand ihrer Kapazitäten bringen oder sogar in die Knie zwingen? Einige behaupten, dass Elektroautos unser Stromnetz instabil machen. Dies würde große Investitionen für den Ausbau der Energieinfrastruktur nötig machen, damit unser Energiesystem weiterhin den hohen Beanspruchungen standhalten kann.
Wir gehen in diesem Faktencheck der Sache auf den Grund und untersuchen, ob der Mythos „E-Autos überlasten Stromnetz“ wirklich stimmt.
Die Elektrifizierung von Fahrzeugen schreitet voran
Da die EU den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 verbietet, hat man bei Neuwagenkäufen künftig nur noch drei Optionen zur Auswahl: Plug-in-Hybride, reine Elektroautos oder Brennstoffzellenautos.
In ganz Europa wurden im Jahr 2021 rund 2,33 Millionen E-Fahrzeuge (Plug-in-Hybride und reine E-Autos) verkauft, in Deutschland allein waren es zum 1. Januar 2022 insgesamt 681.410 Neuzulassungen, der Bestand erreicht damit knapp 2,3 Millionen Fahrzeuge. Ziel der Bundesregierung sind 15 Millionen E-Autos bis 2030. Bei den insgesamt 45 Millionen Pkw auf deutschen Straßen würden elektrische Fahrzeuge damit ein Drittel ausmachen.
Aktuell machen E-Autos und Plug-in-Hybride in Deutschland aber nur je 1,3 % aller Pkw aus. Eine aktuelle Studie von EY und eurelectric zeigt, dass unser Stromnetz in Europa erst ins Straucheln gerät, sobald der Anteil von E-Fahrzeugen 50 % erreicht. Laut BloomberNEF wird ihr Anteil in Europa bis 2025 aber nur 8 % erreichen und erst 2040 bei über 60 % liegen.
E-Autos und das Stromnetz
Fakt ist, dass das Wachstum der Stromnachfrage in Europa durch E-Fahrzeuge jährlich um etwa 11 % beschleunigt wird.
Bisher war die Entwicklung der E-Mobilität jedoch sehr vorhersehbar und das Stromnetz wird parallel dazu ständig weiterentwickelt und ausgebaut. Aktuelle Trends für den E-Fahrzeugmarkt zeigen bisher allenfalls nur geringe bis moderate Verbrauchssprünge.
Sollte sich das Ziel der Bundesregierung bewahrheiten und bis 2030 zwischen sieben und zehn Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs sein, dann wird der Energieverbrauch um die 4 % steigen, bestätigt eine Studie von McKinsey. Der Energiebedarf von Millionen E-Autos in Deutschland wird in naher Zukunft also nicht unmittelbar oder sprunghaft ansteigen und auch für keine Engpässe bei der Stromversorgung sorgen.
Gleichzeitig sind E-Fahrzeuge fünf- bis sechsmal energieeffizienter als die effizientesten Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Elektrische Pkw verbrauchen im Vergleich zu herkömmlichen Pkws nur etwa 25 % der Energiemenge.
Im Umkehrschluss heißt das, dass durch die Elektrifizierung der Gesamtverbrauch von Energie beim Transport deutlich sinken wird. Dabei werden E-Fahrzeuge gleichzeitig immer effizienter und umweltfreundlicher.
Das Stromnetz im Jahr 2030 und darüber hinaus
Längerfristig und über das Jahr 2030 hinaus könnten Millionen Elektrofahrzeuge jedoch zu Spannungsschwankungen oder sogar zu kurzzeitigen Ausfällen im Stromnetze führen, insbesondere dann, wenn ihr Anteil über 50 % ansteigt.
Sehen wir uns ein Szenario an:
Eine Wallbox für zu Hause verfügt über eine Ladeleistung von bis zu 22 kW. Klingt erst mal nicht nach sehr viel. Das Problem wird erst deutlich, wenn man bedenkt, dass ein Ladegerät für E-Autos über mehrere Stunden oder sogar über die ganze Nacht kontinuierlich beansprucht wird. Noch dazu werden die meisten Fahrzeuge gleichzeitig in vielen Haushalten geladen. In städtischen Gebieten mit einer hohen Dichte an E-Fahrzeugen kann es dann schon mal zu Schwankungen und Überlastungen kommen. Im schlimmsten Fall könnten dann lokale Netze auch vorsorglich abgeschaltet werden.
So stellte die International Renewable Energy Agency (IRENA) am Beispiel Hamburg fest, dass eine Elektrifizierung von 9 % der gesamten Fahrzeugflotte der Stadt zu Engpässen bei 15 % der Verteiler im Netz führen könnte. Dem kann nicht nur mit Investitionen in die Modernisierung entgegengewirkt werden, sondern auch mit smarten Lösungen. Mehr dazu im folgenden Abschnitt.
Smart Grid, Smart Charging und V2G
Am Beispiel Hamburg wurden für eine Aufrüstung und Verstärkung des Stromnetzes rund 22 Millionen Euro veranschlagt. Smarte Lösungen dahingegen schlugen mit nur 2 Millionen Euro zu Buche und machten Investitionen in das Netz selbst obsolet.
Es sind also neue digitale Technologien, die unser Stromnetz auf lange Sicht aufrüsten und „smarter“ machen. Ein smartes Stromnetz oder Smart Grid ermöglicht eine bidirektionale Kommunikation zwischen dem Versorgungsunternehmen und seinen Kunden. Damit kann der Stromverbrauch überwacht werden und auf Lastspitzen besser reagieren.
Smart Charging und entsprechende Lösungen für das Lastmanagement können förmlich für Entspannung sorgen. Sind öffentliche Ladestationen intelligent, geht das Elektroauto damit eine Datenverbindung über eine Cloud ein, so kann der Ladevorgang aus der Ferne überwacht, verwaltet und einschränkt werden. Wenn mehrere E-Autos gleichzeitig laden, kann durch eine intelligente Steuerung die Energiezufuhr optimiert werden. Ein Fahrzeug wird nicht direkt am Abend, wenn der Stromverbrauch am höchsten ist, geladen, sondern erst verzögert bzw. über einen längeren Zeitraum hindurch in der Nacht, wenn wieder mehr Leistung verfügbar ist.
Zudem kann beim Smart Charging - oder V1G - die Batterie des Fahrzeugs tagsüber erneuerbare Energie abspeichern, wenn deren Stromproduktion am höchsten ist und diese später abgeben, sobald der Energieverbrauch wieder steigt.
Noch einen Schritt weiter geht die Vehicle-to-Grid- oder V2G-Technologie. Hier kann der geladene Strom auch kurzzeitig aus der Fahrzeugbatterie in das intelligente Stromnetz zurückgespeist werden, um auf Verbrauchs- und Erzeugungsspitzen zu reagieren. Dadurch ermöglichen die Batterien von E-Fahrzeugen eine maximale Flexibilität, welche bei der Produktion von erneuerbaren Energien verlangt wird.
Beim Smart Grid und Smart Charging ist alles unter einer Cloud vereint:
E-Autos im Stromnetz werden zu Energiequellen
Wir haben gelernt, dass Autobatterien von Millionen Elektroautos dabei helfen können, Schwankungen im Stromnetz auszubügeln. Mit dem Voranschreiten der V2G-Technologie wird ihnen eine immer größere Bedeutung zukommen.
Um es in eine andere Perspektive zu setzten: Zusammengefasst ergäben die Batterien von allen Teslas weltweit den größten Energiespeicher. Elon Musk ist also nicht nur der reichste Mensch, er sitzt förmlich auch noch auf dem größten Energiespeicher der Welt.
Wenn es in Zukunft eine Million E-Autos ermöglichen, Energien zu speichern und zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzugeben, dann ist das eine große Abhilfe für unser Stromnetz. Insbesondere dann, wenn die Produktion von erneuerbaren Energien zunimmt.
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Zusammenfassung
Während sich die Elektrifizierung der Mobilität zweifellos beschleunigt, wird es nicht über Nacht zu einem massiven Stromengpass kommen. Die E-Revolution schreitet in kleinen Schritten voran und geben unseren Stromnetzen und Stromversorgern genügend Vorlauf, um mit der Entwicklung mitzuhalten.
In absehbarer Zeit sind auch wir in Deutschland gut auf den Ansturm der E-Mobilität vorbereitet. Längerfristig werden aber auch hier Investitionen unausweichlich, wenn wir davon ausgehen, dass Millionen Fahrzeuge gleichzeitig laden. Sorgen müssen wir uns aber keine machen, technologische Entwicklungen wie V2G werden langfristig eine gute Stütze für ein stabiles Netz sein.
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